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Heines Interpretation der Loreley
Kästners Interpretation der Loreley
 

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Kästners Interpretation der Loreley

Erich Kästner

Der Handstand auf der Loreley
Nach einer wahren Begebenheit
(1932)


Die Loreley, bekannt als Fee und Felsen,
ist jener Fleck am Rhein, nicht weit von Bingen,
wo früher Schiffer mit verdrehten Hälsen,
von blonden Haaren schwärmend, untergingen.

Wir wandeln uns. Die Schiffer inbegriffen.
Der Rhein ist reguliert und eingedämmt.
Die Zeit vergeht. Man stirbt nicht mehr beim Schiffen,
bloß weil ein blondes Weib sich dauernd kämmt.

Nichtsdestotrotz geschieht auch heutzutage
noch manches, was der Steinzeit ähnlich sieht.
So alt ist keine deutsche Heldensage,
daß sie nicht doch noch Helden nach sich zieht.

Erst neulich machte auf der Loreley
hoch überm Rhein ein Turner einen Handstand!
Von allen Dampfern tönte Angstgeschrei,
als er kopfüber oben auf der Wand stand.

Er stand, als ob er auf dem Barren stünde.
Mit hohlem Kreuz. Und lustbetonten Zügen.
Man frage nicht: Was hatte er für Gründe?
Er war ein Held. Das dürfte wohl genügen.

Er stand, verkehrt, im Abendsonnenscheine.
Da trübte Wehmut seinen Turnerblick.
Er dachte an die Loreley von Heine.
Und stürzte ab. Und brach sich das Genick.

Er starb als Held. Man muß ihn nicht beweinen.
Sein Handstand war vom Schicksal überstrahlt.
Ein Augenblick mit zwei gehobnen Beinen
ist nicht zu teuer mit dem Tod bezahlt!

P. S. Eins wäre allerdings noch nachzutragen:
Der Turner hinterließ uns Frau und Kind.
Hinwiederum, man soll sie nicht beklagen.
Weil im Bezirk der Helden und der Sagen
die Überlebenden nicht wichtig sind.


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Erich Kästner: Gesang zwischen den Stühlen. 1932 © Atrium Verlag, Zürich und Thomas Kästner, S. 133.




Nicolai von Astudin, o.J.,
Die Loreley





Kästner und der Loreley-Mythos: Welche romantischen Motive wurden übernommen, wo finden Bedeutungsverschiebungen im Vergleich zu Heine statt?
 

 Erichs Kästners 1932 geschriebenes Gedicht „Der Handstand auf der Loreley“ mit dem Untertitel „Nach einer wahren Begebenheit“ erschien in „Gesang zwischen den Stühlen“. Das sechsstrophige Gedicht beschreibt den Mythos der Loreley und nimmt Bezug zu neuen Heldenmythen. Dies geschieht durch die Erzählung von einem Turner, der auf dem Loreleyfelsen einen Handstand macht, und infolge des Gedanken an den Loreley Mythos abstürzt, stirbt und so zum Helden wird.

In den ersten beiden Strophen wird der Mythos der Loreley als überholt dargestellt. „Man stirbt nicht mehr beim Schiffen, nur weil ein blondes Weib sich kämmt“, zeigt Kästners Bezug zu Heine und die damit einhergehende Verwandlung der romantischen Motive, bis hin zur Veralberung derselbigen.

Kästner wird den Autoren der neuen Sachlichkeit zugeordnet, deren Texte im Gegensatz zu radikal-romantischen Bildern durch eine  eher ernüchternde, realistische Haltung geprägt waren. „Der Rhein ist reguliert und eingedämmt.“ steht im Gegensatz zur romantischen Darstellung der Natur.

Ab der dritten Strophe wird die Bildung neuer Heldenmythen kritisch dargestellt, wobei die dritte Strophe die Überleitung bildet und Heldensagen als „steinzeitlich“ darstellt.

Ein Turner der auf dem Loreleyfelsen einen Handstand macht stürzt beim bloßen Gedanken an „die Loreley von Heine“ ab und bricht sich das Genick. Der Turner starb also nicht, weil er die „echte“ Loreley sah und gegen den Felsen fuhr, sondern weil der Gedanke an Heines Gedicht ihn traurig machte („Da trübte Wehmut seinen Turnerblick“).

Kritisiert wird nun die Heroisierung des toten Turners, indem sie und des Turners Tat als unverantwortlich und sinnlos dargestellt werden. („Der Turner hinterließ uns Frau und Kind“)

Zeitlich lässt sich diese Kritik in den Kontext mit dem Ersten Weltkrieg (und der Heroisierung von Soldaten) und des zunehmenden Einflusses der Nationalsozialisten einordnen. Die Anspielung auf die Familie des Turners beschreibt ein gesellschaftliches Problem, das nach dem ersten Weltkrieg gravierende Ausmaße annahm.

„Der Handstand auf der Loreley“ ist somit eine Kritik an der gesellschaftlich bedingten Entstehung von Heldensagen und ihren Folgen am Beispiel der Loreley unter Verwendung versachlichter romantischer Motive Heines.


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